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Haare & Kopfhaut

Haare lügen nicht

Haare sorgen nicht nur für unser Wohlbefinden und unser Aussehen, sie gleichen auch einer Festplatte, die nichts vergisst. Besonders die forensische Toxikologie macht sich diese Eigenschaften zu Nutze.

Beim Thema „Haaranalyse“ kann man schnell in die dunkle Welt der Verbrechen eintauchen oder an den letzten Krimi denken, der im TV lief. Am Tatort ein Haar gefunden, untersucht, zugeordnet und Täter dingfest gemacht. Akte geschlossen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Und eine Erfindung aus Hollywood ist es auch nicht. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts führten Mediziner erste mikroskopische Untersuchungen an Haaren durch, um forensische Aufschlüsse zu erhalten. 

Kriminalistischer Hinweis: Wer der positiven Aussagekraft von Haaranalysen auf die Spur kommen möchte, sollte in diesem Zusammenhang die Suchbegriffe „FBI + Haaranalyse“ besser nicht kombinieren. Tut man es doch, verliert man vermutlich den Glauben an den Wahrheitsgehalt solcher Analyseergebnisse. 

Über viele Jahre hinweg untersuchte das FBI Haare von Verdächtigen unter dem Mikroskop. Bei dieser rein morphologischen Methode wurden die Haare von außen begutachtet und nach Farbe und Schuppenstruktur bewertet und verglichen. Mit dem heutigen Stand der Wissenschaft hätte man diesen ins Feld geführten „Beweisen“ keinen so hohen Stellenwert beigemessen. Viele Urteile wären vermutlich anders ausgefallen. 

Haare sind ein Biomonitor 

Da Wissenschaft und Forschung niemals schlafen, gibt es heute Methoden und Untersuchungen, die den Haaren die relevanten Informationen entlocken können. Auch die DNA spielt jetzt eine tragende Rolle. Damals noch undenkbar.

Einsatzgebiete für Haaranalysen gibt es einige. Das Umweltbundesamt, Deutschlands zentrale Umweltbehörde, befasst sich im Rahmen des Human-Biomonitoring (Werkzeug der gesundheitsbezogenen Umweltbeobachtung) mit dem Thema Haaranalyse und unterscheidet die Anwendungen wie folgt:

  • Nachweis von Arznei- und Suchtstoffen bei rechtsmedizinischen Fragestellungen 
  • Nachweis von Giften in der klinischen und forensischen Toxikologie 
  • historische Untersuchungen 
  • Erfassung des Versorgungszustandes mit Spurenelementen und Mineralstoffen 
  • Abschätzung der inneren Exposition gegenüber Schadstoffen

Etabliert hat sich die Haaranalyse vor allem im Bereich der Substanz- und Abstinenzkontrolle. So kann im Labor festgestellt werden, ob in den vergangenen Monaten Drogen, Medikamente oder Alkohol konsumiert worden sind. Haare dienen hier als eine Art Fahrtenschreiber, der die Stoffe abspeichert und dokumentiert. Möglich wird dies, weil die Haarwurzel in direktem Kontakt zur Blutbahn steht und so die Inhaltsstoffe aufnehmen kann. Spuren der Substanzen im Blut werden so in der Haarmatrix eingelagert. Wer also diese Art von Testergebnissen austricksen will, hat nur eine Wahl: Rasierer raus und Ganzkörperrasur. 

Durch das Haarwachstum kann Konsum und/oder Missbrauch bestimmter Substanzen über mehrere Monate nachgewiesen werden. Hier besteht ein großer Unterschied zu den Blut- und Urinproben, die z.B. nach Verkehrskontrollen (Alkohol am Steuer) oder nach sportlichen Wettkämpfen zur Dopingbekämpfung durchgeführt werden. Während die Blutergebnisse eine Momentaufnahme darstellen, beläuft sich der Zeitraum beim Urin auf 1-3 Tage. Nur Haare belegen das Vorkommen bestimmter Substanzen über mehrere Monate, quasi als Langzeitaufnahme. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Mittel/Substanzen via Mund, Nase oder direkt über die Vene in den Körper gelangten. 

Wie läuft eine solche Untersuchung ab? 

Das Zentrum für Forensische Haaranalytik am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich beschreibt den labortechnischen Vorgang wie folgt: „Die Haarprobe wird mehrmals gewaschen, um Schweiß, Körperfett oder feinteilige Ablagerungen zum Beispiel von Cannabisrauch oder Kokainrückständen zu entfernen. Die Probe wird zerkleinert und pulverisiert. Nun gilt es, die nachzuweisenden Substanzen aus der Haarmatrix herauszulösen. Dazu kommt das Haarpulver in ein Extraktionsmittel. Unter konstantem Schütteln lösen sich eingelagerte Stoffe aus den Haarfragmenten. Hochspezifische Laboranalysegeräte ermitteln, ob und wie intensiv konsumiert wurde.“

Neben allen Vorteilen, die die Haaranalyse bietet, gibt es aber auch eine ganze Reihe von Nachteilen, die es zu berücksichtigen gilt. Die Abteilung Forensische Toxikologie / Haaranalytik am Institut für Rechtsmedizin der Charité Berlin fasst diese so zusammen: 

„So resultiert aus der Physiologie des Haarwachstums eine zeitliche Unsicherheit, die sich aus 

  • der intra- und interindividuellen Variabilität des Haarwachstums, 
  • der Anwesenheit katagener und telogener Haare, 
  • der möglichen Einlagerung der Substanzen aus Schweiß, Sebum (Haartalg) oder 
  • umgebenden Geweben 

ergibt. Weiterhin gibt es keine interindividuelle Dosis-Konzentrations-Relation. Einmaliger Konsum ist in der Regel nicht nachweisbar, und durch die ungeschützte Position der Haare sind äußere Kontamination und Manipulation möglich.“

Wird das Haar gestresst, verändert sich sein Zustand 

Wie in anderen Artikel beschrieben, werden unsere Haare fast täglich verschiedenen Stressfaktoren ausgesetzt. Neben den bekannten Faktoren der Umweltverschmutzung, wie z.B. Autoabgase, Industrieemissionen und Staub, sind besonders chemische Behandlungen wie Blondierung und Haarfarben genannt. 

Dadurch kann es zu einer äußeren Kontamination der Haare kommen. Schadstoffe sind evtl. gar nicht im Körper, sondern haben sich „nur“ auf den Haaren abgelegt. Es können aber auch Stoffe ins Haar gelangen, die das Vorkommen der nachzuweisenden Substanzen abbauen oder zerstören können. Gerade für Abstinenzkontrollen sind solch „behandelten“ Haare eher nicht geeignet.

Auch im medizinischen Bereich kann eine Haaranalyse eine wichtige Rolle spielen. So kann es z.B. vor einer Organtransplantation nötig sein, Aufschluss über eine notwendige Abstinenz zu bekommen. Auch können Stresshormone wie Kortisol detektiert und quantifiziert. Im Bereich der Infarktprophylaxe eine wichtige Erkenntnis. 

In den letzten Jahren wird auch immer wieder damit geworben, dass Sie anhand Ihrer Haare mögliche Nährstoffmängel oder Schadstoffbelastungen des Körpers herausfinden können. Anhand der Ergebnisse werden dann Therapien und Diäten empfohlen, bzw. verkauft. Haare können viel erzählen, aber sie sind dann doch nicht allwissend. Wir möchten an dieser Stelle noch einmal die Rechtsmediziner aus Zürich zitieren: „Die Haaranalyse liefert Zahlen und Fakten – aber keine Entscheidungen frei Haus.“ Bevor Sie also aufgrund einer Haaranalyse Ihre Ernährung umstellen, Ergänzungspräparate zu sich nehmen oder anderweitige wichtige Entscheidungen treffen, suchen Sie bitte Ihren Arzt auf. Der wird die richtigen Entscheidungen treffen. 

Für Napoleon oder Gletschermann Ötzi ist es für einen Arztbesuch zu spät, aber auch die beiden historisch wichtigen Männer kamen in den „Genuss“ einer Haaranalyse. Bei Ötzi wollte man mehr über seine Lebensweise und seine Essgewohnheiten erfahren, um Rückschlüsse auf die damalige Zeit gewinnen zu können. Im Fall von Napoleon sind wir wieder in der dunklen Welt der Verbrechen. Wurde er nun durch Arsen vergiftet oder starb er an Magenkrebs? Darüber streiten die Gelehrten. Wir wollen dazu nur erwähnen: Arsen wurde früher, ganz früher, auch in der Haarpflege und zur äußeren Behandlung der Haare angewendet. Zufall? Manchmal sind Haare schlicht Hüter von Geheimnissen.